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Titel
Morgarten. Die Inszenierung eines Ortes


Autor(en)
Hess, Silvia
Erschienen
Baden 2018: hier + jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte
Anzahl Seiten
284 S.
Preis
€ 49,00
URL
von
Oliver Landolt, Staatsarchiv Schwyz, Amt für Kultur

Die an der Universität Luzern entstandene Dissertation ist aus dem SNF-Forschungsprojekt Touristischer Geschichtsgebrauch: Die Postproduktion des Mittelalters im 21. Jahrhundert hervorgegangen, das unter der Leitung von Valentin Groebner zwischen 2013 und 2016 durchgeführt worden ist. Silvia Hess nimmt das «Superjubiläumsjahr 2015», in dem an zahlreiche, die eidgenössische und die schweizerische Geschichte prägende Ereignisse erinnert wurde (1315: Schlacht am Morgarten, 1415: Eroberung des Aargaus, 1515: Schlacht bei Marignano, 1815: Wiener Kongress) zum Anlass, um die «Inszenierung» des ehemaligen Schlachtortes Morgarten vor allem unter dem Aspekt des «touristischen Geschichtsgebrauchs» (S. 19) näher zu analysieren. Ihre Darstellung gliedert sie dabei in verschiedene Zeitabschnitte, in welchen sie die stufenweise Entwicklung des Erinnerungsortes «Morgarten» vom späten 18. Jahrhundert bis in die heutige Zeit aufzeigt. Zum einen interessiert sie anhand des konkreten Beispiels «Morgarten» der politische Gebrauch von Geschichte, zum anderen aber auch die Nutzung eines historischen Orts zum Aufbau einer Fremdenverkehrsattraktion.

Obwohl die genaue Ursache für die Schlacht zwischen Habsburg und Schwyz wie auch der konkrete Ort des militärischen Ereignisses bis heute ein Geheimnis der Geschichte sind – selbst archäologische Forschungen der jüngeren Zeit können bis anhin keinen genaueren Aufschluss über letzteren geben –, wurde das Schlachtfeld seit dem späten 18. Jahrhundert als «klassische Stelle» und «historische Stätte» von Reisenden aufgesucht und beschrieben. In der sich seit Beginn des 18. Jahrhunderts entwickelnden Helvetophilie spielte «Morgarten» zunächst fast keine Rolle; nur wenige Reiseberichte erwähnen den Ort. Neben den Naturschönheiten der Alpenwelt waren vielmehr Zeughäuser mit ihren historischen Waffenbeständen gerne besuchte und oft beschriebene Destinationen von Schweiz-Reisenden, aber auch das Schlachtfeld von Murten und das dortige Beinhaus, in welchem die Knochen der in der Schlacht 1476 gefallenen Burgunder aufbewahrt wurden.1 Seit dem späten 18. Jahrhundert wird Morgarten als Schlachtort in Reiseberichten und Reiseführern erwähnt: Im viel gelesenen Reiseführer von Johann Gottfried Ebel («Anleitung auf die nützlichste und genussvollste Art in der Schweitz zu reisen», 1. Auflage 1793) wird explizit darauf verwiesen, dass der Ort zwar Schauplatz der ersten Freiheitsschlacht der Eidgenossen gewesen sei, doch «von den Reisenden so wenig besucht» werde.2 Dies sollte sich in der Folgezeit ändern, weil im Laufe des 19. Jahrhunderts historische Stätten wegen des zunehmenden Ausbaus der «Fremdenindustrie» ganz allgemein sowie der damaligen «Sucht» nach Denkmälern im Besonderen aufgewertet und mit touristischer Infrastruktur ausgestattet wurden. Verspätet kam auch dem geographisch eher abgelegenen Morgarten dank aktiver Einflussnahme lokaler Akteure seit den 1880er Jahren diese Entwicklung zugute. Eigentlicher Höhepunkt in der «Herstellung» des Ortes Morgarten war die Einweihung des Morgartendenkmals 1908, dem allerdings ein jahrelanger Streit um den tatsächlichen Standort der Schlacht vorangegangen war. Der Autorin zufolge war diese «Herstellung des Orts Morgarten […] Resultat eines nationalen und militärischen Geschichtsgebrauchs, aber auch touristischer Interessen» (S. 137). Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 wurde «Morgarten» dann zur «nationalen» Bühne für Politiker und hohe Militärkader: Der Erinnerungsort erfuhr zunehmend eine Nationalisierung und Militarisierung (letzteres durch das seit 1912 regelmässig durchgeführte Morgartenschiessen auf 300 Meter Distanz mit Gewehren, das 1957 durch ein Pistolenschiessen ergänzt wurde). Mit der 600-Jahr-Feier der Morgarten-Schlacht 1915 war ein erster Höhepunkt des nationalistisch-militaristischen Geschichtsnarrativs erreicht, das mit der «Geistigen Landesverteidigung» über die Zwischenkriegszeit und den Zweiten Weltkrieg hinaus beinahe nahtlos bis in die Zeit des Kalten Krieges Bestand hatte. 1965 fand mit der 650-Jahr-Feier vor allem eine Instrumentalisierung der Schuljugend statt, die ein letztes Mal mit den Idealen einer patriotisch inspirierten Nationalideologie «geimpft» wurde. Der Autorin zufolge gab es dabei durchaus kritische Stimmen über die Durchführung der Feierlichkeiten in dieser Form (S. 216–218, 226, 230 f.). Die 700-Jahr-Feier der Schlacht am Morgarten wurde 2015 dann von unterschiedlichen Akteuren aus Politik, Verwaltung, Militär und Tourismus und mit den medial-digitalen Möglichkeiten der Gegenwart beworben. Insbesondere auf Primar- wie Sekundarschulstufe sollte über das Ereignis informiert werden. Neu eingerichtete Wanderwege sollten «Geschichte erlebbar» werden lassen.

In der Studie von Silvia Hess vermisst man eine vergleichende Sicht auf andere Schlachten der eidgenössischen Frühzeit wie beispielsweise Sempach oder Näfels, die ebenfalls bis heute durch eine historisch gewachsene Feierkultur geprägt sind. Im Gegensatz zu den an diesen beiden Orten jährlich durchgeführten Schlachtfeiern ist die am Morgarten bis heute jedoch – nicht zuletzt aufgrund der Schiessanlässe – stark militärisch dominiert. Ein «Schönheitsfehler» sind vereinzelt falsch gesetzte Fussnoten (beispielsweise S. 55, Anm. 165; S. 73, Anm. 236–238).

Trotz dieser Einwände stellt die Studie von Silvia Hess eine wichtige Arbeit dar, die den Zusammenhang und die Bedeutung von Geschichte und Tourismus für den Erinnerungsort Morgarten exemplarisch aufarbeitet. Es ist zu hoffen, dass das Buch weitere Forschungen über die touristische Nutzung von ehemaligen Schlachtorten wie überhaupt von Örtlichkeiten historischer Ereignisse anregen wird.

1 Siehe hierzu auch Oliver Landolt, Eidgenössisches «Heldenzeitalter» zwischen Morgarten 1315 und Marignano 1515? Militärische Erinnerungskultur in der Alten Eidgenossenschaft, in: Horst Carl, Ute Planert (Hg.), Militärische Erinnerungskulturen vom 14. bis zum 19. Jahrhundert. Träger – Medien – Deutungskonkurrenzen, Göttingen 2012 (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit, Bd. 15), S. 69–97..
2 J. G. Ebel, Anleitung auf die nützlichste und genussvollste Art in der Schweitz zu reisen, Zweyter Theil, Zürich 1793, S. 47.

Zitierweise:
Oliver Landolt: Silvia Hess: Morgarten. Die Inszenierung eines Ortes, Baden: Hier + Jetzt, 2018 Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 69 Nr. 3, 2019, S. 466-468

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 69 Nr. 3, 2019, S. 466-468

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